Steuerkarusselle – sie drehen immer schneller

Betrüger nutzen eine Ausnahme im EU-Recht häufig für Steuerdelikte aus. Besonders gefährdet ist die Informations- und Kommunikationstechnikbranche.
Michael Karrenberg; Regional Director Risk Services Germany, Central, North, East Europe & Russia/CIS, Atradius
Atradius Kreditversicherung Beitrag

Herr Karrenberg, wenn Sie auf die Informations- und Kommunikationstechnikbranche (IKT) blicken – wie hat sich hier das Forderungsrisiko entwickelt?
Für Lieferanten und Dienstleiter der IKT-Branche besteht derzeit ein deutlich höheres Risiko als noch vor drei oder vier Jahren, dass ihre Rechnungen nicht bezahlt werden. Die Zahl der Insolvenzen von deutschen IKT-Firmen stieg alleine 2017 um 1,5 Prozent, während Firmenpleiten in Deutschland insgesamt um mehr als sechs Prozent zurückgingen.

 

Was ist der Grund für die steigenden Zahlungsrisiken?
Mehrere Faktoren erhöhen derzeit den Druck auf die Liquidität der IKT-Firmen. Dazu zählen etwa die häufig geringe Eigenkapitalausstattung der Firmen, ein intensiver Wettbewerb und großer Margendruck. Ein weiterer Grund sind sogenannte Umsatzsteuerkarusselle. Durch die Betrugsmasche und die gegen sie eingeleiteten Maßnahmen der Steuerbehörden hat sich das Zahlungsrisiko in der Branche in den vergangenen drei Jahren deutlich erhöht.
 

Was macht diese Form des Betrugs so tückisch?
Eine Verwicklung in ein solches Karussell ist nur ganz schwer zu erkennen. In den vergangenen Monaten haben wir ganz unterschiedliche Vorgehensweisen der Betrüger erlebt. Generell baut die Masche auf einer Ausnahme im EU-Recht auf, bei der bei innergemeinschaftlichen, grenzüberschreitenden Lieferungen zwischen Unternehmen nicht wie sonst üblich der Verkäufer die Umsatzsteuer abführen muss, sondern erst der Erwerber beim Weiterverkauf innerhalb des eigenen Landes.
 

Wo liegt die Gefahr für die IKT-Branche?
Gefahr droht von zwei Seiten: Zum einen können IKT-Unternehmen einen Zahlungsausfall erleiden, wenn einer ihrer Abnehmer aus der Branche ins Visier der Behörden gerät und kurzfristig zahlungsunfähig wird. Gleichzeitig können Elektronikhändler selbst schnell und unbewusst in ein solches Karussell hineingeraten. Beginnen die Ermittlungen, sind die Betrüger häufig schon nicht mehr auffindbar. Um Verdunkelungen vorzubeugen, gehen Steuerfahndung und Staatsanwaltschaft häufig schon im Verdachtsfall sehr strikt gegen mutmaßliche und auch unwissende Beteiligte vor – etwa mit Pfändungen, eingefrorenen Konten oder der Untersuchungshaft von Mitarbeitern. Manchmal reichen schon Geschäftsbeziehungen mit einer als Betrügerfirma entlarvten Organisation. Selbst wenn am Ende ein Freispruch für ein Unternehmen erfolgt, ist häufig die finanzielle Basis bis dahin zerstört.


Warum sind gerade IKT-Firmen so stark betroffen?
Das liegt an der Art ihrer Produkte. Im Regelfall sind diese sehr hochpreisig, durch hohe Volumina sind Steuerbetrüge dadurch entsprechend verlockend. Zudem ist der logistische Aufwand zum An- und Verkauf von Mobiltelefonen, Festplatten oder Tablets vergleichsweise gering, auch bei hohen Stückzahlen.  
 

Was raten Sie Unternehmen?
Einkäufer sollten nach unserer Erfahrung vorsichtig sein bei Angeboten, die deutlich unter dem üblichen Marktwert liegen. Beim Weiterverkauf kann es ein Indiz sein, wenn Firmensitz des Käufers und Lieferort in unterschiedlichen Ländern liegen, wobei der Lieferort dann auch oft ein Lager eines externen Logistikanbieters sein kann. Die Ware wird dort gegen Vorkasse oder Direktzahlung freigegeben und vom Käufer abgeholt – unter anderem, weil sich der Abnehmer so einer Prüfung durch die Kreditversicherung des Lieferanten entzieht,da in diesem Fall keine zu versichernde Forderung entsteht. Skeptisch werden sollte man auch bei Geschäftskontakten, die nicht persönlich bekannt sind und als Vermittler für regelmäßig wechselnde Lieferanten oder Kunden auftreten.

 


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